„Gerade die Leerstellen sind produktiv.“ 

Leonie Radine, kuratorische Assistentin von Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig in Köln, spricht über ihre Arbeit, neue Ausstellungsformen und die Inszenierung von Text im Museum.

 

Carolin Schmidt

Was genau ist Ihre Aufgabe als kuratorische Assistentin am Museum Ludwig?

Vor allem arbeite ich mit Yilmaz Dziewior an allen Ausstellungen, die er als Direktor kuratiert. Seit wir im Februar 2015 zusammen ans Museum Ludwig gekommen sind, haben wir gleich im ersten Jahr drei Ausstellungen realisiert: die Präsentation der Wolfgang-Hahn-Preisträger*innen Michael Krebber und R. H. Quaytman im April, dann folgte die Einzelausstellung von Danh Võ im Sommer und anschließend die Joan Mitchell-Retrospektive.

 

Woran arbeiten Sie derzeit?

Gerade haben wir die Ausstellung von Heimo Zobernig als Auftakt der neuen Reihe

„HIER UND JETZT im Museum Ludwig“ eröffnet. Außerdem arbeiten wir gemeinsam mit allen Kurator*innen am Haus an der großen Gruppenausstellung „Wir nennen es Ludwig“, die anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Museum Ludwig im Sommer stattfindet. Dazu haben wir 25 Künstler*innen bzw. Kollektive eingeladen, sich mit der Institution auseinanderzusetzen und Werke zu präsentieren, die in unterschiedlicher Weise auf das Museum Bezug nehmen.

 

Was zeichnet die neue Reihe aus?

Mit „HIER UND JETZT“ ist ein Format geschaffen, das die Möglichkeiten von Ausstellungen in Museen produktiv erweitert und hinterfragt. Die Präsentation von Kunst in Museen ist oft an Konventionen des Ausstellens gebunden. Im Museum Ludwig gibt es beispielsweise für die unterschiedlichen Sammlungsbereiche allein aus konservatorischen Gründen spezielle Ausstellungsräume, die in der Geschichte des Museums häufig für die Präsentation bestimmter Medien genutzt wurden, wie zum Beispiel die Grafikkabinette im ersten Obergeschoss. Doch gerade dort zeigen wir jetzt eine nicht-grafische Arbeit und zwar Heimo Zobernigs Installation, die zwischen Kunst und Ausstellungsarchitektur oszilliert. Sie ist nicht nur ein autonomes Werk, sondern auch funktional. Im Grunde dient sie hier als Sockel oder Bühne für die Skulpturen aus unserer Sammlung. Ich finde die Auswahl unter anderem deshalb ganz besonders, weil sie die Sammlung erstaunlich gut repräsentiert. Eine zeitgenössische Arbeit von Isa Genzken tritt in Dialog mit einem ikonischen Werk der Pop Art –von Claes Oldenburg –, einer Eule von Pablo Picasso – wir haben ja eine der weltweit größten Picasso-Sammlungen im Haus. Darüber hinaus gehört zum Ensemble eine breite Vielfalt an Skulpturen aus dem 20. Jahrhundert wie etwa von Aristide Maillol, Renée Sintenis, Marino Marini, Lucio Fontana, Hans Uhlmann oder César.

 

In dieser Ausstellung steht das Ausstellen selbst im Vordergrund. Rückt der Künstler deshalb automatisch in den Hintergrund?

Heimo Zobernig ist ja ein sehr renommierter Künstler aus Österreich, der seit den 80er Jahren international ausstellt und bereits an zahlreichen Biennalen und mehrmals an der documenta beteiligt war. Er arbeitet in verschiedenen Medien, aber Gegenstand seiner Installationen ist oft der institutionelle Raum, die Raumwirkung durch die Architektur und wie sich das Verhältnis von Körpern im Raum gestaltet. Manchmal geht er wie ein Handwerker vor oder in gewisser Weise wie ein Dienstleister. Auf eine mitunter selbstironische und vor allem kontextbezogene und institutionsreflektierende Weise überlegt er sich, wie er einen Ausstellungsraum verbessern oder anders wahrnehmbar machen kann. Für diesen mal mehr, mal weniger subtilen künstlerischen Gestus an der Schnittstelle von Kunst, Design und Architektur ist er bekannt. Aber das Besondere an der Ausstellung ist, dass sie mit oder ohne Wissen darüber oder die Geschichte seiner Installation als solche funktioniert. Nur auf ganz unterschiedliche Art und Weise.

 

Heimo Zobernig hat die Installation ja ursprünglich für den österreichischen Pavillon auf der Biennale in Venedig konzipiert. Inwiefern hat sich das Werk im Museum Ludwig verändert und hat der Künstler das selbst inszeniert?

Diese Installation ist ein Nachbau der Installation in Venedig. Yilmaz Dziewior hatte Heimo Zobernig damals als Künstler für den österreichischen Beitrag zur Biennale eingeladen. Ich war dabei auch schon als kuratorische Assistentin involviert. Auch dort hat Zobernig unmittelbar auf die Architektur reagiert. Der österreichische Pavillon an sich ist ein Stilmix aus Moderne und Klassizismus. Von außen und von vorne ist es ein klarer moderner rechteckiger weißer Bau mit Oberlichtern und einem zentralen Durchgang zum Garten in der Mitte. Beim Betreten des Pavillons merkt man, dass dieser moderne Stil gebrochen wird von klassizistischen Elementen wie etwa Rundbögen und Treppenstufen im Übergang zu den Seitenflügeln. Die wollte Zobernig zum Verschwinden bringen und die Architektur, vereinfacht gesagt, komplett modernisieren. Er hat nicht nur einen schwarzen Boden eingezogen, sondern auch einer massiven schwarzen Deckenkonstruktion, die wie eingeschoben wirkte in den Pavillon. Schon von außen sah man, dass es sich nicht nur um eine tiefer gehängte Decke, sondern um einen schwarzen Block handelte, der die Oberlichter teilte und an Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“erinnerte.

In Venedig waren es Sperrholzplatten, die die Konstruktion ummantelt haben. Hier ist es Wellpappe, folienbeschichtet und glänzend. Das Volumen wird hier viel fassbarer als in Venedig. Zunächst entstand dieser Nachbau für Zobernigs Einzelausstellung im Kunsthaus Bregenz, die einige Tage vor Ende der Biennale im letzten November eröffnet wurde. Da hing der Korpus ebenso an der Decke, allerdings ohne passende Architektur, also als freigestellter Körper und dadurch autonomeres Werk im Raum. Hier ist diese Deckeninstallation an den Boden gewandert.

 

In der Beschreibung der Reihe „HIER UND JETZT“ steht, dass sie vor allem Wert auf interdisziplinäre Experimente legen. Unter anderem möchten Sie mit Archiven und Verlagen zusammenarbeiten. Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Das sind Beispiele. Wir haben diese Reihe ja gerade erst eröffnet. Wie sie sich im Einzelnen ausgestalten wird, ist noch weitestgehend offen, und das ist auch gut so. So

können wir ganz spontan reagieren auf bestimmte Entwicklungen oder mögliche Kooperationen. Da Sie vermutlich mit besonderem Interesse am Verlagswesen und Kooperationen im Bereich der Literatur fragen: Es ist sehr gut möglich, dass wir innerhalb der Reihe ein Projekt mit Verlagen oder Archiven realisieren, aber zunächst sind dies Beispiele eines interdisziplinären Vorhabens. Es geht uns vor allem darum, neue Präsentationsformen und Möglichkeiten im Umgang mit der Sammlung und der musealen Präsentation von Kunst zu entwickeln und umzusetzen.

 

Inwiefern wird Text in diese Ausstellung integriert und welche Stellung hat Text für Sie in Ausstellungen?

Text ist immer ein wichtiges Element. Zum einen im Kontext der Vermittlung, aber auch häufig im Rahmen der wissenschaftlichen Aufarbeitung. In Kunstmuseen macht man sich oft Gedanken, inwiefern man zum Beispiel Archivmaterialien integriert. In der Joan Mitchell Ausstellung haben wir etwa einen Archivraum eingerichtet, mit 12Vitrinen voller Text- und Bilddokumente, darunter Fotografien und die Briefkorrespondenz von Joan Mitchell, unter anderem mit Literaten wie Frank O'Hara, Samuel Beckett und John Ashbery. Das ist natürlich eine relativ konventionelle Form des Ausstellens von Text. Im Falle der Ausstellung von Literatur kommen viele Fragen auf. Soll die haptische Qualität des Schriftstücks erhalten bleiben, und soll man in der Lage sein, durch Bücher zu blättern? Konservatorisch ist das natürlich eine Herausforderung. Aber auch da gibt es Möglichkeiten. Dafür haben wir zum Beispiel in der Joan Mitchell-Ausstellung einen Leseraum eingerichtet, in dem die Besucher*innen nicht nur in Katalogen zum Werk der Künstlerin, sondern ebenso in verschiedenen lyrischen Werken ihrer Wegbegleiter*innen blättern und lesen konnten.

 

Können Sie sich vorstellen, dass man Text auch als Objekt ausstellt und dabei Sinn und Material gleichwertig nebeneinanderstehen?

Sicher. Es gibt viele Künstler*innen, gerade seit Aufkommen der Avantgarden im frühen 20. Jahrhundert und der Konzeptkunst, die viel mit Text gearbeitet haben und vor allem in Werken mit Objektstatus. Marcel Broodthaers, die Dada-Künstler*innen, Lawrence Weiner, Joseph Kosuth, Hanne Darboven ... Es lassen sich immer Mittel und Wege finden, und meistens sind Mittel und Weg dann auch konzeptuell im Werk verankert. Auch gegenwärtig, da fallen mir zum Beispiel Natalie Czech, Hanne Lippard oder Studio for Propositional Cinema ein.

 

Wenn sie beispielsweise von einer Dichterin eine halbe A4-Seite mit einem Gedicht bekämen, wie würden Sie das in einem Raum präsentieren? Welche Fragen stellen Sie an einen Raum, bevor Sie die Kunst inszenieren?

Ich denke den Raum immer komplett. Der Raum ist unheimlich wichtig in der Präsentation jeglicher Medien. Die Frage ist schwer zu beantworten, weil es keinen konkreten Gegenstand gibt, also wir über keinen konkreten Raum nachdenken. Unabhängig von der Größe des Raums, kann es wirklich reizvoll sein, wenn es bei dem einen A4-Blatt bleibt. Gerade eine kleine Arbeit braucht oft viel Raum. Eine bekannte Studie besagt, man stünde durchschnittlich nur 11 Sekunden vor einem Werk. Nicht, dass man sich als Kuratorin immer an dieser desillusionierenden Erkenntnis orientieren würde oder müsse. Wir hoffen natürlich, dass die Leute ein bisschen länger vor den Exponaten verweilen.Würde man eine Literaturausstellung kuratieren, bedeutet das aber in jedem

Fall eine entsprechende Anforderung an die Besucher*innen, Zeit zu verbringen. Bei 15 A4-Seiten mit je einem Gedicht à einer halben Seite würden die meisten sicher eine individuelle Auswahl treffen und beim Lesen selektieren oder Teile nur streifen oder überfliegen, um sich einen Überblick zu verschaffen.

 

Gibt es da nicht verschiedene Möglichkeiten der Präsentation eines Textes, um Spannung zu erzeugen? Etwa durch Klang, das Spiel mit dem Material, Projektionen etc.?

Ja, sicher. Es ist interessant, in verschiedenen Medien und Formaten zu denken, zum Beispiel den Text auch zu vertonen oder um eine andere sinnliche Ebene zu erweitern. Gerade bei Lyrik wäre es spannend, wenn die Autoren selbst lesen würden.

Da fällt mir die junge Künstlerin Hanne Lippard ein, die hauptsächlich mit ihrer Stimme arbeitet und mit Sprache und Lyrik. Sie ist eine der Preisträger*innen des Ars Viva Preis 2016. Ich habe neulich eine Performance von ihr im Projektraum Agnes Maybach hier in Köln gesehen. Sie stand in der Mitte eines kleinen Raums, um sie herum weitere Performer*innen, die sich mit dem Publikum mischten. Sie hat ihren Text vorgelesen, und die Performer*innen haben ihre Worte teilweise an bestimmten Stellen wiederholt oder begleitet. Es war ein tolles Moment, zu erfahren, wie Sprache im Raum funktioniert. Plötzlich bekam jenseits des Inhalts alles eine Bedeutung: der Raum, die Stimmen, der Klang und Rhythmus der Sprache, der Hall, die Leute, alle Körper im Raum, wer spricht, wer zuhört, alles habe ich sensibler als sonst wahrgenommen. Ich fand es beeindruckend, wie Lippard sich durch ihre Stimme exponierte. Sie war sehr souverän, aber gleichzeitig – im positiven Sinne – so fragil. Wenn man nur hört, entstehen auch mehr Missverständnisse oder Leerstellen. Aber das ist ja gerade so produktiv.

 

Wohin geht der Ausstellungstrend in Museen für zeitgenössische Kunst und wie wichtig sind neue Medien?

Sehr wichtig. Auf jeden Fall gibt es eine künstlerische Tendenz, sich mit neuen Medien zu befassen, zur Auseinandersetzung mit sozialen Netzwerken, digitaler Kultur und neuen Repräsentationspolitiken.

Ich beschäftige mich auch verstärkt damit. Zum Beispiel im Rahmen meiner kommenden Ausstellung, dem zweiten Projekt der Reihe „HIER UND JETZT“, das nicht im Museum Ludwig stattfindet, sondern in Privathäusern oder Privatwohnungen der Stadt. Ob in sozialen Netzwerken, auf Stilwebsites oder durch Flatsharing-Angebote wie Airbnb: Durch neue digitale Medien und netzwerkbasierte ökonomische Modelle der Sharing Economy wird das private Zuhause einerseits immer mehr geteilt und zunehmend öffentlich. Und andererseits wird Intimität und Privatheit, und vor allem das Zuhause als Rückzugsort immer wichtiger und bekommt eine ganz andere Dringlichkeit jenseits der sozialen Medien und der Logik unternehmerischer Strategien. 1986 hat Jan Hoet ein ähnliches Konzept in Gent realisiert. Damals waren die privaten Wohnungen über drei Monate jeden zweiten Tag für das Kunstpublikum zugänglich. 30 Jahre später ist das private Zuhause paradoxerweise umso heiliger, je mehr wir uns exponieren. Diese Diskrepanz finde ich interessant. Vor allem in Hinblick darauf, was passiert, wenn das öffentliche Museum im November in den Privatraum einzieht ...

 

Wie haben Sie das in der Ausstellung gelöst?

Ich habe ja noch gar nichts gelöst. Es wird sowohl inhaltlich und konzeptuell als auch strukturell und organisatorisch für mich eine große Herausforderung sein. Ich beginne gerade, gemeinsam mit den Künstler*innen Orte zu finden, die konzeptuell oder aufgrund ihrer Gastgeber*innen von besonderem Interesse sind. Aber jenseits der künstlerischen und praktischen Lösungen ist es in Hinblick auf diese Diskrepanzen auch nicht mein Ziel, etwas zu lösen. Ich frage eher: Wie kann man auch durch ein Ausstellungsformat eine gesellschaftliche Situation reflektieren? Inwiefern entzieht sich das Museum seiner herkömmlichen Verwertungslogik, indem es einen öffentlichen Ort verlässt und insPrivate geht? Was passiert, wenn nicht nur das Private öffentlich wird, sondern auch das Öffentliche privat?

 

Die Ausstellung „HIER UND JETZT im Museum Ludwig. Heimo Zobernig“ war vom 20. Februar bis zum 22. Mai 2016 im Museum Ludwig zu sehen. 

 

Das Interview führte Carolin Schmidt am 4. März 2016 in Köln. Nach dem Interview fand die Ausstellung „HIER UND JETZT im Museum Ludwig. Hausbesuch“ vom 5. bis 27. November 2016 statt.